DER SUPERHELD

Rahn im Nationaldress, vom SCO-Trikot kaum zu unterscheiden.
Helmut Rahn im Nationaldress, das vom SCO-Trikot kaum zu unterscheiden ist. Dies kann kein Zufall sein.

Fitti und Wolle Kleinelanghorst, Stefan, Andreas und Thorsten Fischer, Papa und Sohn Heitkamp, Papa und Sohn Heyland, dazu die Rückert-, Rottkort-, Becker-, Brormann- und Pinkerneilbrüder – der SCO hat ganze Familiendynastien an großen Helden der Moorwiese hervorgebracht. Hinzu kamen legendäre Einzelkämpfer wie Fritz Strunck, Albert Uthoff, Oliver Haak, Michael Bisping und Sascha Zirwes.

Doch HELMUT RAHN war mehr! Er war ein Weltmeister, ein Gründer der Bundesrepublik Deutschland. Helmut Rahn war ein Held der Moorwiese und des Wankdorf-Stadions.

In seiner Autobiografie: „Mein Hobby: Tore schießen“ erzählt Helmut Rahn von seiner Zeit beim SCO:


Das Millieu des kleinen Vereins Altenessen 12 wollte mir nicht mehr so recht behagen. Vorsichtig streckte ich die Fühler nach was Größerem aus.

Ein Bekannter von uns war Kartoffelhändler und fuhr ab und zu auch Deputatkohlen für den Zollverein. Er hatte meine Unzufriedenheit schon lange bemerkt.

„Du willst doch weiterkommen, Helmut“, sagte er eines Tages. „Wechsle doch zu uns nach Stoppenberg. Wir sind spielerisch viel stärker und außerdem eine Klasse höher als Altenessen 12.“

„Das sagen Sie so leicht. Ich weiß nicht, wie ich da loskommen soll.“

„Probier’s doch wenigstens mal. Nächsten Sonntag spielen wir in Westfalen gegen Oelde 09. Da fährst Du einfach mit.“

„Aber nächsten Sonntag spielt doch auch Altenessen.“

„Mensch, bist Du auf den Kopf gefallen? Du wirst schon eine Ausrede finden. Es braucht ja niemand zu wissen, dass Du mit uns fährst.“

„Na schön, ich will es versuchen.“

Tatsächlich schwindelte ich den Altenessenern vor, wir müssten zu Hause Heu einfahren, um noch vor Beginn des schlechten Wetters alles in die Scheune zu bringen. In Wirklichkeit bestieg ich gemeinsam mit den Stoppenbergern ihren durch Holzvergaser angetriebenen Lastwagen und fuhr, von Gewissensbissen geplagt, mit nach Oelde. Dort trugen wir ein Freunschaftsspiel aus, das mir in mehr als einer Beziehung in lebhafter Erinnerung ist.

Als Mittelstürmer lieferte ich eine gute Partie. Wir siegten 4:3. Drei von den vier Toren gingen auf mein Konto.

[…]

Meine Antrittsvorstellung in Oelde wurde für einen anderen Spieler zum Schwanengesang: für den einheimischen Torwart! Ich sollte einen Freistoß treten. Es hatte geregnet. Der Ball war schwer und nass. Ich lief an und haute eine Bombe in Richtung Kasten. Der Torwart bekam die Arme nicht mehr schnell genug hoch und kriegte das Geschoß mit unheimlicher Wucht genaus ins Gesicht. Mit sechs Zähnen zahlte er für seine etwas zu langsame Reaktion.

Die Spieler von Oelde waren anscheinend von meiner Leistung beeindruckt. Das spürte ich besonders deutlich bei der anschließenden Feier.

„So einen wie Dich könnten wir hier gut brauchen!“ meinten sie ein ums andere Mal. Ich hörte mir das an, dachte aber nichts Besonderes dabei. Nach ein paar Tagen hatte ich das Gerede schon wieder vergessen.

Nicht die Oeldener. Ich saß eines Nachmittags zu Hause beim Kaffeetrinken, da kreuzten plötzlich zwei Vorstandsmitglieder von ihnen bei mir auf. Sie machten mir allen Ernstes das Angebot, ihrem Verein beizutreten.

„Wir sind so gut wie Stoppenberg in der 1. Amateur-Klasse und haben alle Chancen.“

„Ja, aber…“

„Es gibt kein Aber. Wir besorgen Ihnen einen guten Arbeitsplatz und ein Zimmer. So’n junger Mensch wie Sie sollte ruhig mal die Tapete wechseln. Oder wollen Sie hier versauern?“

Nein, das wollte ich nicht. Die Aussicht auf Freiheit und Selbständigkeit kitzelte mich gewaltig.

„Da müssen Sie erstmal mit meinen Eltern sprechen“, sagte ich.

Die beiden Herren sahen das ohne weiteres ein. Sie haben wohl mit Engelszungen gepredigt, denn weder Mutter noch Vater setzten meinem Wunsch, in die Fremde zu ziehen, ernstliche Schwierigkeiten entgegen.

So siedelte ich für ein ganzes Jahr nach Oelde in Westfalen über.

Die Vorstandsmitglieder hielten Wort. In der Zentrifugenfabrik „Westfalia Separator“ besorgten sie mir einen angenehmen Job. In der Kontrollabteilung hatte ich Handzentrifugen, wie sie die Bauern zum Buttern brauchen, zu überprüfen und dann zum Verpacken weiterzugeben.

Auch das Zimmer, das man mir besorgt hatte, war ordentlich. Meine Wirtin bemühte sich rührend um mich. Aber ich spürte doch, dass der Wirbel, den ich als junger Bursche und Fußballspieler ins Haus brachte, manchmal ein wenig über ihre Kräfte ging. Sie war eine alte Frau, und Unruhe in jeglicher Form schlug sich ihr sofort auf den Magen.

So siedelte ich eines Tages zu unsrem Torwart über. Erich Hilker war nicht verheiratet und wohnte noch bei seinen Eltern. Die störte es nicht, wenn wir mal feierten.

Im Verlauf der Meisterschaftsspele einer einzigen Saison schoß ich 54 Tore. Oelde 09 rückte auf den zweiten Platz in der 1. Amateur-Klasse nach vorn. Leider nutzte es nichts. Nur der Erste stieg auf.

Hier in Oelde wurde ich praktisch auch als Rechtsaußen entdeckt. Bisher hatte ich immer Mittelstürmer oder Halbrechter gespielt. Bei einem Trainingskampf rutschte ich sozusagen aus Versehene mal nach draußen auf den rechten Flügel. „Mensch, Helmut, das ist Dein Platz!“ hieß es gleich.

Von nun ab wurde ich fast nur noch als Rechtsaußen aufgestellt. Ich war gar nicht so bersonders erbaut davon. Halbstürmer zu sein machte mir viel mehr Spaß…

„Willst Du denn immer in Oelde bleiben?“ fragten mich gelegentlich Anhänger von Essen-Katernberg. „Wenn Du zu uns kommst, bist Du in der Oberliga. Das ist doch ein ganz anderer Stiefel. Dann könntest Du auch wieder zu Hause wohnen.“

Durch einen Vereinswechsel in die Oberliga zu rutschen, war an und für sich keine schlechte Sache. Sportfreunde Katernberg war gerade aufgestiegen. Das letzte Wort sprachen auch in diesem Fall meine Eltern. Sie wollten mich wieder bei sich haben. Damit war die Angelegenheit perfekt.

Helmut Rahns Autobiografie
Rahns Autobiografie

Später in seiner Autobiografie erwähnt unser Helmut den SCO noch einmal. Rahn ist inzwischen Weltmeister und im Endspiel gegen Kaiserslautern mit Rot-Weiß Essen ganz frisch Deutscher Meister des Jahres 1955 geworden. In Hannover nimmt er die Ehrennadel des DFB in Empfang und fährt mit dem Zug zurück nach Essen. Dabei macht der Zug außerplanmäßig extra auch in Oelde Halt:

„In Oelde, meiner Wirkungsstätte seligen Angedenkens, wurde der Zug extra angehalten. Etliche Flaschen Wein und Blumen wurden mir ins Abteil gereicht. In Hamm standen Hunderte auf dem Bahnsteig, um den neuen Deutschen Meister zu begrüßen.“ (Helmut Rahn, Mein Hobby: Tore schießen“, DVA München, 2004, Seite 18-21 / 129)

Mehr über Helmut Rahns Zeit beim SC Oelde 09, insbesondere über die Argumente, mit denen der SCO ihn damals nach Oelde lockte, siehe das Interview mit Albert Uthoff.